Wie ich ja bereits im vorigen Artikel andeutete, sind die Ålands in der Nebensaison mit etwas Geduld und Ruhe verbunden.
Geduld ist ja auch ein Lernfeld von mir.
Am letzten Tag, einem Sonnabend, zeichnete sich nun ab, dass die Fährverbindungen ab Brändö noch weniger waren als sonst. Die Auswahl war zwischen 8.30h und 14.45h. Für Autofahrer ist es alles kein Problem, die schaffen mit Durchfahren sogar alles an einem Tag. Als Radlerin ist es anders, zwischen dem Ankunfts- und dem Abfahrtsanlieger liegen gute 20km. Was ich keinesfalls wollte, war eine weitere Übernachtung in Brändö im nichts und alleine. Sonntags sind die Abfahrten besser, richtig doof war es eigentlich nur, weil eben Sonnabend war.
Anfahrt von Übernachtung zum Ableger waren 12km.
Nun ist eine Abfahrt um 8.30h mit vorheriger 12km Anfahrt und Zelt einpacken und Aufstehen schon eine sehr deutliche Herausforderung. Andererseits: bis zur 14.45h Abfahrt wäre ich an Langeweile dahin gewelkt, Kajak mieten ging ja nicht wegen Vorsaison.
Und so begann um 5.30h in der früh der verrückteste Fahrradtag bisher. Nicht nur auf dieser Tour. Denn so früh bin ich selbst damals in Happsalu nicht aufgestanden, als ich nach Hiiumaa übersetzen wollte.
Um 6.35h saß ich auf dem Rad mit einem klitschnass eingepackten Zelt und ohne Frühstück.
Aber immerhin geputzte Zähne. Und mit frisch geölter Kette.
Die Illusion war zu dem Zeitpunkt noch, das Zelt in einer Mittagspause zum Trocknen aufzubauen. So kann man sich irren.
Es war wundervoll, in der ruhigen Morgenstimmung, dem sanften Licht und der angenehmen Kühle zu radeln. Ich sah unterwegs zwei Rehböcke, 10m vor mir wechselten sie die Straßenseite. Ich sah 3 Autos auf 12km, war also schon richtig was los. Und ich war zu früh, eine knappe Stunde. Aber besser so als zu spät sein. Auf dem Schiff erstmal frühstücken und Schären gucken, klar. Mich fragte niemand nach einem Fahrschein, also ging es auch ohne.
In Gustavi dann endgültig in Finnland ankommen. Da zunächst noch alles durch Fähren verbunden ist, war der Verkehr sehr überschaubar – zunächst. Das änderte sich nach der zweiten Überfahrt an dem Tag und plötzlich war immer mehr los. Insbesondere scheinen sehr viele Leute Sonnabends Anhänger durch die Gegend zu fahren. Irgendwer hat immer irgendwas zu transportieren und vielleicht kommt DHL ja doch nicht überall hin. Und Idioten, Coupé und Cabrio Fahrer, die sich durch zu schnelles Fahren etwas beweisen müssen, gibt es hier auch. Leute, nehmt wenigstens den Fuß vom Gas, wenn ihr Gepäck Radler vor euch habt. Und ehrlich: bremsen kostet auch nichts, ihr seid nur wenige Sekunden später dran. Es geht um Menschenleben. Ihr habt keine Ahnung, wie schwer solch ein Rad ist und wie es sich verhalten kann.
30km solch eine Straße waren es insgesamt, durch diese hohle Gasse muss er kommen, es führt kein anderer Weg nach Küssnacht hin, um mal Schiller zu zitieren. Außerdem waren inzwischen 28 Grad, tropisches Klima in Finnland, wer hätte das ahnen können.
Nach 7km kam ein Ort und letzter Laden vor dem Übernachtungsplatz. Also einkaufen. Das Thermometer zeigte 30 Grad um 12h und eine Entscheidung stand an: fahre ich 7km auf Nebenstraße, warte 3,5h auf eine Fähre im nichts mit Langeweile und dann weitere 16km? Oder fahre ich den Bogen mit 23 weiteren km auf der Straße und dann noch 23km Nebenstraßen? Inzwischen war ich 40km gestrampelt und ja, gute 200 Höhenmeter Wellen hatte ich bereits, gute 250 kämen dazu.
Hin und her überlegt. Ja, nein, oh Gott, 3,5h warten bei der Hitze im nichts.
Klarer Fall, oder?
Und jetzt kommt der brandheiße Tipp, das geht nur mit Doping. Mein Dopingmittel ist Himbeer Trinkjoghurt, 500ml Dosierung. Das gibt es in fast jedem Supermarkt. Es muss daran liegen, mir ist sonst nicht klar, wie ich das, was dann kam, sonst überstanden habe.
Also Straße. 32 Grad inzwischen. Trinken, trinken, trinken. Flasche leer. Nach weiteren 8km der Hinweis auf ein Grilli Kioski, ich dachte, super Sache, Flasche auffüllen. Leider pleite gegangenes Grilli Kioski. Aber der benachbarte Gartenmarkt hatte leckerstes kaltes Leitungswasser. Welch ein Genuss.
Und dann kamen die dunklen Wolken. Höchste dunkle Wolkentürme vor und links von mir. Später auch rechts. Dem nicht genug, es war auch ständig ein Grummeln und Donnern zu hören. In der Ferne gab es Blitze.
Noch 37km zu fahren.
Treten, treten, treten.
Nasses Zelt im Gepäck. Egal.
Donnern, donnern, treten, treten, treten. Konstant wie eine Nähmaschine.
Noch 8km an der blöden befahrenen Straße, aber wenigstens mit eigenem abgetrennten Fahrstreifen.
Treten, treten, treten.
Pause? Pfeiff drauf. Nasses Zelt trocknen? Nee.
Treten, treten, treten.
Endlich, ruhigere Nebenstraße. Hehe, dafür sehr viel welliger. Insbesondere mit steileren Anstiegen.
Scheibenkleister. Treten.
Noch 23km.
Donnern, Grummeln, dunkle Wolkengebirge.
Oh, ab hier wieder Euro Velo 10 ausgeschildert.
Treten.
Donnern.
Dunkle Wolken.
Rehböcke Nummer 3 und 4 an diesem Tag.
Treten. Ständig ‚Achtung Elch‘ Schilder. Falsches Tier, heute ist internationaler Tag der Rehböcke.
Treten.
Wann zeigen sich die Elche? Claudia möchte ein Elch Foto. Dauert noch. Weiter strampeln, was machen die Wolken? Sie donnern und Grummeln und Blitzen in der Ferne, die immer weniger fern wird.
Treten. Trinken. Treten, treten, treten.
Donnern.
Vielleicht gibt es ja ein Bushaltestellenhäuschen, wenn es soweit ist. Treten.
Wovon man alles so träumt. Was man alles so denkt.
Treten.
Wohin ziehen die Wolken? Weg? Her? Gar nicht? Treten.
Wenn ich jetzt Gegenwind hätte auf dem nächsten Stück, würden sie wegziehen.
Treten. Tun sie aber nicht.
6km vor dem Ziel, Tageskilometer 79 hatte ich das Wettrennen dann verloren.
Ohne Bushaltestellenhäuschen.
Es goss wie aus Eimern.
Ich stand in Regenjacke unter ein paar Bäumen, die gibt es hier genug.
Größte Erleichterung, dass es kein Gewitter war. Puh. Da hatte ich echt ein bisschen Angst vor. Nur Regen. Hektoliter Weise Regen.
Mal wieder die Erkenntnis: bei den Temperaturen und Regen bedeutet die Regenjacke auch nur sich zu entscheiden, ob man durch Süßwasser (und ohne Jacke) oder durch Salzwasser (mit Jacke) nass wird. Atmungsaktiv ist dann einfach vorbei.
Es lies nach, weiter treten. Noch ein paar ordentliche Anstiege. Sonne und Regen gleichzeitig.
Am Ziel.
Regen ausgeschaltet. Sonne eingeschaltet. Erstmal.
Das waren seit 6.35h 85km treten, 12km Fähre. Einige Wartezeiten auch am Morgen. Das war sehr ordentlich, das waren 3km/h im Durchschnitt mehr als an anderen Tagen in ähnlichem Gelände. Die einzige Pause war der Himbeer Trinkjoghurt. Also quasi ohne Pause.
Wie schön, diese Kräfte mobilisieren zu können, wie gut, dass es eine Ausnahme war. Etwas irre war es schon.
Zelt aufbauen, was tatsächlich vor dem nächsten Guss komplett durchtrocknete. Gottseidank.
Es gab natürlich eine Küche, einen Essensraum und so blieb zumindest ich den Abend trocken, als es wieder regnete. Allerdings ging er für mich nicht mehr so lange, um 20h kippte ich ins Zelt und wachte 2 Stunden später auf, weil ich mich noch zudecken musste. Das hatte ich zunächst nicht mehr geschafft, ich war vorher eingeschlafen. Nach solch einem Tag kann man schlummern wie ein Säugling.
Aber immer brauche ich das auch nicht haben.
Wenigstens gab es keine Langeweile, wäre doch schlimm, daran einzugehen. Und ein bisschen stolz bin ich auch.
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