Den rechten Weg weisen

Dies passierte im Sommer 2015 in den östlichen Masuren. Ich war das erste Mal in Polen unterwegs. Es war mit dem Rad und es war sicher nicht das letzte Mal. Ich war begeistert und berührt von der Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft, welche mir dort begegnete. Ein paar Jahre zuvor hatte mir ein holländisches Paar davon vorgeschwärmt, es war einer der Gründe, warum ich nach Polen reisen wollte. Und das unsere beiden Länder diese gemeinsame Vergangenheit haben, nie stand das im Weg. Polen ist ein wundervolles Reiseland.

Zurück zu den östlichen Masuren.

Ich fuhr damals noch nicht mit Navi sondern mit Karte und da war dann wieder Mal der Moment, wo ich irgendwie spürte, jetzt bin ich irgendwie falsch gefahren und keine Ahnung hatte wo genau.
Ich hielt an, hielt das Rad in der Mitte und studierte die Karte. Links die einspurige Straße, rechts der Sandstreifen, dann ein Gartenzaun, hinter dem Gartenzaun saß ein alter Mann mit Brille, Farbeimer, Pinsel. Der strich den Zaun.
Hinter mir ein sehr sehr lautes Geknatter eines Treckers. Es war genug Platz, doch er fuhr nicht vorbei. Er knatterte konstant im stehen. Ich rückte noch ein wenig nach rechts, doch eigentlich war Platz genug. Dann auf einmal war Stille, Trecker aus. Ich drehe mich um und schaue was da los ist: ein sehr alter Mann klettert von einem sehr alten Trecker hinab. Keine Ahnung, wer der ältere war. Er kommt zu mir, stellt sich vor mich links vom Rad. Und er fängt an zu sprechen, auf polnisch. Er wirkt sehr freundlich, gestikuliert mit seinem rechten Arm in die Richtung hinter mir und redet und redet und redet, auf polnisch. Er ist wirklich sehr freundlich. Ich verstehe kein Wort, doch weil er so freundlich ist, lächele ich. Und ich fange an, auf meine Karte zu deuten, Zeichensprache kann ich.
Er macht eine wegwerfende Handbewegung mit links Richtung Karte, gestikuliert mit rechts und redet und redet. Er wird etwas lauter, vielleicht glaubt er, ich kann nicht richtig gut hören.
Ich versuche den Ortsnamen, wo ich als nächstes durchfahren wollte, auszusprechen. Aber mach das mal mit einem polnischen Ortsnamen und dieser unüberschaubaren Ansammlung von Konsonanten und viel zu wenig Vokalen. Das nützt nichts, man bricht sich die Zunge. Er macht weiter wie bisher.
Ich deute auf die Karte. Es ist ihm gleich. Ich denke: wie komm ich aus dieser Nummer wieder raus Er erklärt und erklärt.
Ich tippe etwas heftiger auf die Karte.
Endlich wird er darauf aufmerksam. Geht um mein Fahrrad rum, zu dem Typen hinter dem Zaun, spricht zu ihm und bekommt dessen Brille. Kommt wieder zurück.
Blickt auf die Karte. Geht mit dem Kopf vor und zurück, die Stärke scheint nicht recht zu passen. Er schaut voller Konzentration auf die Karte, ich tippe auf den Ort. Er studiert und studiert. Vielleicht sah er das erste Mal eine Karte dieser Gegend. Er braucht so etwas nicht, er kennt dort jeden Baum und Strauch.
Plötzlich schaut er auf. Spricht den Ortsnamen. Ich lächele und nicke und er beginnt erneut zu erklären, wieder eifrig, wieder auf polnisch, dieses Mal gestikuliert er mit seinem linken Arm in die Richtung vor mir.
Ich höre akustische Wiederholungen, lächele freundlich, verstehe kein Wort und denke mir: der Mann hat eine Mission. Inzwischen war sicherlich eine Viertelstunde um.
Ich habe keine Ahnung wie ich da weiterkommen soll, ihn einfach stehenlassen in seiner Hilfsbereitschaft und seinem Eifer schien mir grausam und unfreundlich, das wollte ich nicht.
Ich lächelte und guckte fragend und plötzlich fiel mir ein: im Sprachführer gibt es diese Tabelle mit deutschen Sätzen, polnischen Sätzen und polnischer Lautschrift. Dort gibt es diese Satz „ich verstehe leider nicht“.
Meine letzte Rettung. Das krame ich raus. Versuche zu sprechen, wiederhole es einige Mal. Er versteht nicht. Hat jedoch die Brille und liest den Satz nach. Und fängt laut an zu lachen, klopft sich auf den Oberschenkel. Humor hatte er jedenfalls.
Gibt mir das Buch zurück. Geht erneut ums Rad, nimmt ein Stöckchen und zeichnet damit ein paar Wege in den Sand, ein paar Kreuzungen. Streicht die erste durch und deutet auf die zweite. Strahlt mich an. Ich strahle zurück. Er hatte wirklich eine Mission. Wir lachen beide und ich fahre winkend weiter. Das war schön.

Ich habe mich dann später doch noch einmal verfahren und landete auf einem Wikingerfest. Doch dort drehte ich einfach um.


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