Die Geschichte mit dem Einhorn

Dies trug sich zu als ich mit dem Fahrrad von Helsinki nach Vasaa fuhr.
Es war auf einem Zeltplatz an einem See, es war irgendwo im Wald und es war sehr sehr dünn besiedelte Gegend. Am Tag zuvor hatte das Navigationsgerät irgendwann gesagt „folge dem Weg 28km“ und danach nur noch „Du hast das Ziel erreicht“ und dazwischen war ich 28km geradeaus durch den Wald gefahren. Es war Wald mit Blaubeeren, die konnte man beim Picknick vom Strauch knabbern. Irgendwann hatte ich 2 Elche aufgeschreckt, in der Mitte der 28km gab es einen Hof, die hatten eine Bretterbude an die Straße gestellt und verkauften Eis, Kaffee, Fanta. Sonst war da nichts. So dünn besiedelt war es dort.

Auf diesem Zeltplatz war auch nicht viel, ein paar Zelte im Wald verstreut, ein Burgerrestaurant mit Samtagabenddisko gab es; Duschen, WC, Trinkwasser waren auch vorhanden, vielleicht sogar eine Waschmaschine. Mein Zelt stand im Gras am Ufer des Sees, es hatte einen schönen Ausblick. Idyllisch. Und es gab Badestege, ein paar waren es. In der Mitte eines dieser Stege, gut vertäut, lagen ein paar Ruderboote. Und ein riesiges regenbogenfarbenes Plastikeinhorn mit goldenen Flügeln war dort auch. Das war so groß, darauf fanden 4 Erwachsene bequem Platz.

Am nächsten Morgen, ein Sonntag war es, vielleicht war es 8 Uhr, der See lag still, kein Geräusch zu hören außer diesem Vogel im Hintergrund und dem Sirren einer Mücke, die wohl auf einen Frühstücksleckerbissen hoffte. Es war eine friedliche Sonntagmorgenstille. Ich hatte mich gerade aus dem Zelt gepuhlt, versuchte einen Weg von Schlaf zu Wach zu finden. Das war nicht leicht.

Zu dieser Zeit war es also, es war friedlich und der Tag war neu und sonst war noch nichts. Da kam eine ältere Dame hinten am Ufer den Weg längs. Sie kam vom Parkplatz, dort muss sie ihr Auto geparkt haben. Sie trug einen dunkelblauen weiten Morgenmantel bist zu den Knöcheln, darunter einen schwarzen Badeanzug, so wie ihn ältere Damen, die ein wenig zu Korpulenz neigen, tragen. Auf dem Kopf aber hatte sie einen leuchtend roten Hut mit sehr breiter Krempe. Und unter dem Arm trug sie eine orangene Schwimmnudel. Und so, wie sie ging, mit sicherem und ausholenden Schritten, der Steg federte ein bisschen unter ihren Schritten, die Arme schwingend, so war klar: die wusste was sie wollte. Die ist in ihrem Leben ihren Weg gegangen, die wusste Bescheid, die lies sich die Butter nicht vom Brot nehmen. Voller Selbstbewusstsein ging sie, der machte so schnell niemand etwas vor. Und sie ging den Badesteg längs mit festem Tritt, es war sehr deutlich zu hören, auch in einiger Entfernung, wo ich war. Und ich dachte mir noch: die springt direkt rein, die ist nicht zimperlich, und wenn der See noch so kalt wäre. So ging sie dort lang.

Dann blieb sie auf halbem Weg auf dem Steg sehr abrupt stehen. Sie holte ihr Mobiltelefon aus der Bademanteltasche. Und dann machte sie Fotos und es muss eine ganze Serie gewesen sein, aus allen Perspektiven fotografierte sie das Einhorn. Hochkant und quer, nah und fern, immer nur das Einhorn. Dann ging sie weiter, dieses Mal nicht mehr mit forschem Schritt sondern vorsichtiger, tastender, langsamer, ruhiger. Sie ging näher ran. Sie berührte das Einhorn, fast schien es, sie würde es streicheln, es lag eine Zärtlichkeit in dieser Szenerie. Als habe sie kein Plastikeinhorn vor sich, sondern vielleicht ein Reh oder ein anderes scheues Tier. Sie stand lange bei dem Einhorn, sie berührte es immer wieder, sie mochte sich gar nicht trennen und mir schien es fast als habe sie sich plötzlich verliebt. In das Einhorn.

Irgendwann, es war eine ganze lange Weile vergangen, ging sie zurück, fotografierte das Einhorn noch ausgiebig vom Ufer. Dann kam sie zurück auf den Steg, legte ihr Mobiltelefon ab, den Morgenmantel ebenfalls, nahm ihre orangene Schwimmnudel und stieg in den See. Den Hut behielt sie auf. Nicht ohne sich das Einhorn noch einmal im Wasser von nächster Nähe aus zu betrachten, bevor sie mit ihrem roten Hut und der Schwimmnudel auf den See hinaus schwamm.

Das war schön.


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